Sie haben es sicher schon mitbekommen: Die Stadthalle steht nach der Sanierungsphase kurz vor ihrer offiziellen Wiedereröffnung. Am 26. Januar 2024 findet der Neujahrsempfang der Stadt Göttingen erstmals wieder in unserem geliebten Kachelofen statt, der damit zugleich eröffnet wird. Und schon heute möchte ich Sie ganz herzlich dazu einladen. Kommen Sie vorbei, erleben Sie Europas modernste Multifunktionshalle.
Ich kann Ihnen sagen: es lohnt sich.“
Auszug aus der Neujahrs-Videogrußbotschaft der Göttinger Oberbürgermeisterin Petra Broistedt
Blick aus dem südlichen Cheltenhampark
Ausschnitt Westpodest Südanbau mit repositionierter Kunst am Bau an gesäuerter Sichtbetonfassade des Südanbaus
Prof. Jürgen Weber, Relief Die Stadt, Bronze (310 x 350 cm), 1963/64
Südanbau (Technik und Küche) mit frei begehbare Stadtdachterrasse via Treppenanlagen Süd
Sichtbetonfassade, gesäuert
Logistikanbau Ost
IDENTITÄT - Erkennen Bewahren Weiterführen
Die denkmalwürdige Stadthalle Göttingen (Baujahr 1962 bis 1964, Architekt Rainer Schell, Wiesbaden) mit der einmalig markanten Fassade aus bunten Kacheln stiftete und stiftet Identifikation für zahlreiche Generationen von Bürger*innen und ist ein Anker im Göttinger Osten. Die Kulturinstitution von überregionaler Bedeutung bietet mit etwa 2.600 qm Veranstaltungsfläche auf drei Ebenen sowie einer Gesamt-Nutzfläche von knapp 5.400 qm, zuzüglich 900 qm Dachterrassenfläche, eine Bühne für Veranstaltungen jeglicher Art. So ist sie unter anderem Spielstätte des Göttinger Symphonieorchesters und der Internationalen Händel-Festspiele sowie des NDR 2 Soundcheck Festivals für Neue Musik.
Nach knapp 60 Jahren Nutzungsdauer mit den einhergehenden konstruktiven, technischen und energetischen Problemen, musste über den weiteren Umgang mit dem Gebäude (im Volksmund liebevoll Kachelofen genannt) entschieden werden. Im Sinne einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit, sowohl in ökologischer und ökonomischer als auch in soziokultureller Hinsicht, wurde der Lebenszyklus des Gebäudes nicht beendet, sondern verlängert - getreu der Zielsetzung der Stadt Göttingen bis 2030 klimaneutral zu werden. Die große Menge an grauer Energie (bislang bereits benötigte Energie zur Herstellung, Transport und Einbau der Materialien) des Bestands wird nicht verbraucht und muss dementsprechend nicht - durch einen Neubau - neu erzeugt werden, sondern wird gespeichert. Dies zeigt einen beispielhaften Umgang mit dem Bestand der Nachkriegsbauten und bildet die Grundlage des Transfers der Stadthalle Göttingen vom fossilen 20. ins postfossile 21. Jahrhundert.
Diese Prämisse ist der Hauptgedanke des prämierten Konzepts zur Fassadenneugestaltung aus dem sich die Leitidee Erkennen-Bewahren-Weiterführen formulierte. Die einzigartige Fassadenbekleidung des Bestands aus keramischen Kacheln mit den Maßen (BxHxT) 50 cm x 50 cm x 3 cm, in den 5 Farbtönen dunkelblau, lila, rot, mittelblau und weiss sowie der dreieckigen und kreisrunden Relief-Geometrie wurden behutsam manuell demontiert, gereinigt und gelagert. Ein hoher Anteil (> 90%) aller Bestands-Kacheln konnte so zur Wiederverwendung archiviert werden.
Die Neugestaltung der Fassade nimmt kleine, aber entscheidende Korrekturen vor und klärt die volumetrische Formulierung des Bauwerks. So werden weisse Bestandskacheln nur noch für additive Bauelemente (Logistik-Anbau, Vordächer) verwendet. Die energetische Ertüchtigung nach der Sanierung des Beton-Rohbaus hat zur Folge, dass sich die Abmessungen der Halle sowohl in der Längen- und Breitenausdehnung als auch in der Höhenentwicklung vergrößerten. Das neue Fassadenkonzept sieht vor, dass diese Fehlstellen in der Bekleidung der Fassade durch neu hergestellte Kacheln im Duktus der Bestandskacheln erfolgt. Das vorhandene Vokabular (4 Farben dunkelblau, lila, rot, mittelblau - 2 Reliefgeometrien Kreis, Dreieck) wird durch zwei neue Typen ergänzt (2 Farben - 1 Reliefgeometrie Quadrat). Die neue Komposition erweitert und schärft den bestehenden Farbduktus und erzeugt ein differenziertes Erscheinungsbild der Stadthalle; ein Spiel der Textur-Maßstäbe - je nach Betrachtungsabstand.
Von Weitem wirkt die Fassade farblich flächig, während der Annäherung zeigt sich jedoch ein differenziertes und heterogenes Farbspiel, was durch die geometrischen Reliefs noch verstärkt und erweitert wird. Vergleiche zur Stadt als einheitliches Gefüge und den Bürger*innen als Individuum entsprechen der Typologie Stadthalle als Gute Stube der Bürgerschaft.
Der zweigeschossige Ersatzneubau des südlichen Anbaus der Stadthalle, mit den technischen Versorgungsräumlichkeiten sowie der gastronomischen Küche, besetzt den Fußabdruck des Bestandsgebäudes. In Richtung des denkmalgeschützten Cheltenham-Parks und zum Albaniplatz präsentiert sich das flache Bauwerk als Stadtterrasse mit exponierten Blickbeziehungen, welche über das Parkett des großen Saals der Stadthalle und eine eingeschnittene Freitreppenanlage erschlossen wird. Die skulpturale Anmutung des Anbaus wird durch die monolithische Fassadenbekleidung verstärkt. Die samtige Textur der gesäuerten Betonoberfläche erinnert in seiner Struktur und Farbigkeit an die gewaschene Betonfassade des Bestands und bildet einen Kontrast zur keramischen Fassadenbekleidung der Halle.
Der Re-Positionierung des Reliefs „Die Stadt“ (1963/64, Bronzeguss) des Braunschweiger Bildhauers Prof. Jürgen Weber, welcher für die Kunst am Bau durch den Ursprungsarchitekten Rainer Schell zur Erbauungszeit ausgesucht wurde, wird in der Fassadengestaltung des Anbaus erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt.